140 Millionen Jahre ans Tageslicht gebracht – Fossilfunde aus dem Nusplinger Plattenkalk von Egesheim
Von Gerd Dietl, Stuttgart
In der Jura-Zeit, vor ungefähr 190 – 135 Millionen Jahren, waren große Teile von Europa durch ein weites, flaches Meer bedeckt. Auch der südwestdeutsche Raum lag vollkommen unter Meeresbedeckung. Die damaligen Meeresküsten lagen weit entfernt. Gegen Ende der Jura-Zeit – vor etwa 140 Millionen Jahren – im oberen Weißen Jura, war im südwestdeutschen Raum der Meeresboden stellenweise stark gegliedert. Es erhoben sich in der Gegend des Großen Heubergs aus dem Meeresboden Hügel mit einer Höhe von bis zu etwa 100m empor. Diese Hügel entstanden durch das Wachstum von Schwämmen und kalkausscheidenden Algen, ähnlich wie die heutigen Korallenriffe. Von der Erosion als Felsen freigelegt, schmücken die Schwamm/Algen-Riffe heute die Talränder der Schwäbischen Alb. Ein besonders schönes Beispiel dafür sind die Felsformationen des Donautals. Manche dieser Schwammriff-Hügel ragten damals aus dem Meer als Inseln heraus. Das Klima war zu dieser Zeit tropisch. Auf den Inseln wuchsen entsprechende Pflanzen. Das Tierleben war dagegen auf diesen kleinen Inseln sehr eingeschränkt. Im warmen Meerwasser um die Inseln herum tummelte sich dagegen damals ein sehr reiches Unterwasserleben. Besonders die Schwamm/Algen-Riffe selbst, sowie deren unmittelbare Umgebung, dürften ein Gebiet mit reichem Nahrungsangebot für viele Meerestiere gewesen sein. Von diesem reichen Leben im damaligen Meer der Oberjura-Zeit wüßten wir jedoch ohne die Fossilfunde aus dem Nusplinger Plattenkalk recht wenig. In den Gesteinsschichten der Schwamm/Algen-Riffe selbst sind nämlich nur wenige Tierreste des damaligen reichen Tierlebens als Fossilien überliefert. Dasselbe gilt auch für die dickbankigen Gesteinsschichten, die zwischen den Schwamm/Algen-Riffen abgelagert wurden. Die Fossilien, die man hauptsächlich aus diesen Gesteinsschichten kennt, sind die bekannten Ammoniten, Belemniten, wenige Muscheln und Schnecken, vereinzelt Seeigelreste sowie in stark veränderter Form bestimmte Gruppen von Schwämmen. Von der übrigen Tierwelt der damaligen Zeit, die natürlich auch vorhanden war, erfahren wir aus solchen normalen Gesteinen so gut wie nichts. Tiere wie zum Beispiel Krebse, Tintenfische und Fische sowie andere Wirbeltiere sind darin in der Regel nicht überliefert. Sie sind dem üblichen Kreislauf der Natur zum Opfer gefallen. Danach werden die meisten Organismen nach ihrem Tod durch aasfressende Tiere und durch Bakterien so vollkommen zerstört, daß in der Regel nicht mehr viel von ihnen übrig bleibt. Den Rest erledigen dann noch Wasserbewegungen am Meeresboden, die zum Beispiel Skelette von Stachelhäutern und Wirbeltieren vollkommen zerlegen können. Im Nusplinger Plattenkalk wurde allerdings diese Regel der Natur teilweise unterbrochen. Hier herrschten zur Ablagerungszeit am Meeresboden nicht nur Stillwasserverhältnisse, sondern es kam dort auch noch zeitweilig zu einem lebensfeindlichen Milieu, das Aasfresser zumindest teilweise von ihrem zerstörerischen Werk abhielt.
Von Plattenkalken auf der Schwäbischen Alb wissen wir seit 1823 durch einen Bericht des berühmten Naturforschers Alexander von Humboldt. Er bezog sich hier allerdings auf den Plattenkalk von Kolbingen, der damals bereits abgebaut wurde. Der Kolbinger Plattenkalk ist jedoch bis heute fossilleer geblieben. Vom Nusplinger Plattenkalk wußte er noch nichts. Den Nusplinger Plattenkalk als Quelle von besonderen Fossilfunden entdeckte erst 1839 der bekannte Jura-Geologe Friedrich August Quenstedt, der in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts als Professor an der Universität Tübingen lehrte. Quenstedt selbst war es, der veranlaßte, daß auf Nusplinger Gemarkung ein Steinbruch-Unternehmen tätig wurde, um, wie im Gebiet von Solnhofen auf der Frankenalb, für den Lithographiedruck geeignete Steinplatten zu gewinnen. So entstand der heutige „Geologische Steinbruch“. Nach wenigen Jahren wurde aber dieser Abbau mangels Rentabilität wieder eingestellt. Es waren dann Bauern von Nusplingen, die in diesem Steinbruch sporadisch Steinplatten abbauten, um sie als Dach-, Wand- oder Bodenplatten zu verwenden. Gegen Ende des letzten Jahrhunderts wurde sogar im „Geologischen Steinbruch“ ausschließlich unter kommerziellen Gesichtspunkten nach Fossilien gegraben. Aber auch dieses Unternehmen kam nach wenigen Jahren zum Erliegen. Inzwischen war der Nusplinger Plattenkalk dank seiner überragenden Fossilfunde in der Wissenschaft weit über die Region hinaus bekannt geworden. Insbesondere die Funde von Meereskrokodilen, Flugsauriern und die auffälligen Meerengel (rochenähnliche Haifische) machten den Nusplinger Plattenkalk berühmt. In unserem Jahrhundert trugen wissenschaftliche Grabungen durch die Universität Tübingen dessen Fossilreichtum Rechnung. Alle diese Grabungen fanden im „Geologischen Steinbruch“ statt. 1979/80 wurde nur etwa 200m westlich vom alten Nusplinger Steinbruch („Geologischer Steinbruch“) auf Egesheimer Gemarkung ein neuer, kleiner Steinbruch angelegt, in dem der Nusplinger Plattenkalk zur Gewinnung von Wegschotter abgebaut wurde. Somit war nun auch auf Egesheimer Gemarkung der berühmte Nusplinger Plattenkalk zugänglich geworden. Wäre allerdings dieser Wegschotterabbau weitergegangen, so hätte die Gefahr bestanden, daß das nur etwa 1,5km² große Plattenkalkvorkommen mitsamt seinen phantastischen Fossilien irgendwann einmal vollkommen verschwunden gewesen wäre, und zwar ohne die Möglichkeit, daß die Wissenschaftler hier in aller Ruhe Grabungen und Fundbergungen hätten durchführen können. Um dies zu verhindern, wurde das vermutete Verbreitungsgebiet des Nusplinger Plattenkalks 1983 durch eine Verordnung des Regierungspräsidiums Freiburg i. Br. unter Grabungsschutz gestellt. Mit dieser Verordnung ist nun jeder weitere Abbau des Plattenkalks und auch das Sammeln und Graben in ihm gesetzlich verboten, es sei denn, es liegt eine Genehmigung des Landesdenkmalamts vor. Dazuhin sind nun alle Neufunde automatisch Eigentum des Landes Baden-Württemberg. Es ist naheliegend, daß nur fachlich geeignete Institutionen eine Grabungserlaubnis beim Landesdenkmalamt beantragen können. Eine solche Genehmigung, mit der ursprünglich nur kontrolliert werden sollte, wie gefährdet eventuell an der Oberfläche liegende Fossilien in den beiden Steinbrüchen sind, erhielt 1993 das Staatliche Museum für Naturkunde in Stuttgart. Vorausgegangen waren kleinere, nicht genehmigte Grabungen durch Unbefugte, insbesondere im Egesheimer Steinbruch, da dort die Schichten durch den frischen Wegschotterabbau besonders leicht zugänglich waren. Die Grabungsarbeiten durch das Stuttgarter Naturkundemuseum begannen noch im Sommer 1993, und zwar zuerst im Egesheimer Steinbruch. Um diesen Steinbruch herum wurde zuerst ein Zaun gezogen. Danach wurden im Steinbruchgelände eine Grabungshütte aufgestellt und ein Grabungszelt errichtet. Nachdem diese Vorarbeiten abgeschlossen waren, konnte noch im Spätsommer desselben Jahres die Grabung beginnen. Eine etwa 80m² große Grabungsfläche, auf der 4-5 Personen graben können, wurde vorbereitet. Schon die ersten Grabungsergebnisse waren überraschend. Ein fast 1m langer, bisher noch unbekannter Haifisch wurde gefunden. Er ist mit Hautumrissen und vollständigem Gebiß erhalten. Bislang kannte man von dieser Haiart nur isolierte Zahnfunde. So wurde aus der Probegrabung im Egesheimer Steinbruch, die im Jahr darauf auch auf den Nusplinger Steinbruch ausgedehnt wurde, eine auf einen längeren Zeitraum ausgerichtete Forschungsgrabung.
Die Plattenkalke auf dem Westerberg zwischen Nusplingen und Egesheim sind bis heute die einzigen fossilführenden Plattenkalke der Schwäbischen Alb geblieben. Ihr ursprünglicher Name „Nusplinger Kalkplatten“ (heute = Nusplinger Plattenkalk) geht auf den schon erwähnten Geologen F. A. Quenstedt zurück, der in seinem 1843 erschienenen Werk „Das Flözgebirge von Würtemberg“ diese Benennung erstmals einführte. Der Nusplinger Plattenkalk ist auffällig dünnplattig, schieferartig und läßt sich mit Hammer und Meißel in der Regel gut aufspalten. Die Fossilien sind in ihm meistens stark flachgepreßt. Das bekannteste Plattenkalk-Vorkommen der Jura-Zeit liegt außerhalb von Baden-Württemberg in der Gegend von Solnhofen und Eichstätt in Bayern und ist durch die Funde des Urvogels Archaeopteryx weltberühmt geworden. Zur Entstehung solcher Plattenkalke braucht es besondere Bedingungen. Plattenkalke, wie die von Bayern und auch die von Nusplingen und Egesheim lagerten sich in der Regel in kleinräumigen Schüsseln oder Wannen ab. Eine solche Plattenkalk-Wanne liegt auf dem Westerberg – daher der Name Westerberg-Wanne in Abb. 6 – zwischen Egesheim im Westen und Nusplingen im Osten. Sie besaß ursprünglich eine Länge von kaum mehr als 1500m und eine Breite von 300-400m und war zur Ablagerungszeit des Nusplinger Plattenkalks etwa 80m tief. Heute ist von ihr als Folge von Abtragung nur noch ein Teilbereich vorhanden. In einer solchen Wanne, deren Ränder die Schwamm/Algen-Riffe bildeten, konnten sich die feingeschichteten Plattenkalke, geschützt von Meeresströmungen und vom steten Wellengang, ablagern. Nur hier herrschten durch den geringen Wasseraustausch mit dem frischen Meerwasser am Meeresboden lebensfeindliche Bedingungen infolge von Sauerstoffarmut und/oder Übersalzung. Folglich blieben die dort auf den Meeresboden gesunkenen Kadaver und Pflanzenteile mehr oder weniger von Aasfressern verschont. Dies erklärt die gute Erhaltung der Fossilien in den Plattenkalken, auf die schon eingangs hingewiesen wurde. Sogar nur aus Weichteilen bestehende Tiere konnten in einer solchen Umgebung überliefert werden.
Die Fossilien findet man heute beim Aufspalten der Plattenkalke. Man benutzt dazu einen flachen Meißel und einen Geologenhammer. Manche Fossilien liegen direkt auf der Ober- oder Unterseite einer Kalkplatte, andere stecken inmitten einer solchen Kalkplatte. Hier muß man dann genau die Bruchkanten einer jeden Platte prüfen. Das Finden von Fossilien im Nusplinger Plattenkalk ist also reine Spezialistenarbeit. Ist schon das Suchen und Finden von Fossilien im Plattenkalk eine mühsame Angelegenheit, so erfordert erst recht die präparatorische Freilegung der Funde großes Können, gepaart mit viel Geduld. Oft dauert die Präparation eines einzigen Fossils Wochen und Monate. So ist es verständlich, daß letztendlich jeder fertig präparierte Fund aus dem Nusplinger Plattenkalk eine Kostbarkeit ersten Ranges darstellt.
Der Nusplinger Plattenkalk hat eine maximale Mächtigkeit von ca. 17m. Im Nusplinger Steinbruch sind derzeit die oberen Abschnitte davon aufgeschlossen. Im Egesheimer Steinbruch sind nur noch die unteren Schichten vorhanden; die höheren Bereiche des Plattenkalks wurden dort bereits durch Erosion abgetragen. Der untere Abschnitt des Nusplinger Plattenkalks war bisher hinsichtlich seiner Fossilführung und seiner Gesteinsausbildung wenig bis gar nicht bekannt. Um so wichtiger sind nun hier die laufenden Ausgrabungen des Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart.
Die Fossilfunde
Die Zahl der bisher bei den Grabungen in beiden Steinbrüchen gemachten Fossilfunde liegt bei etwa 5000. Nur einer kleiner Teil davon konnte bisher präpariert werden. Im Nusplinger Plattenkalk dominieren naturgemäß die marinen Faunenelemente. Unter den Pflanzenfossilien überwiegen allerdings die von nahe gelegenen Inseln eingeschwemmten festländischen Pflanzen. Meeresalgen sind dagegen wesentlich seltener. Auch die wenigen Insektenfunde, die alle zu den Libellen gehören, stammen vermutlich von diesen Inseln. Unter den Wirbeltierfunden zeigen nur die Flugsaurier eine stärkere Beziehung zum Land. Bei den Grabungen und Fundbergungen des vergangenen Jahrhunderts standen naturgemäß die größeren Wirbeltiere im Zentrum der Aufmerksamkeit. So ist es nicht erstaunlich, daß die neuen Grabungen besonders viele bisher nicht bekannte Kleinfossilien geliefert haben.
Unter den Pflanzenfossilien sind Zweige der altertümlichen Konifere Brachyphyllum, einer Araukarie, besonders zahlreich. Weniger häufig, aber auffälliger sind die oft sehr schön erhaltenen Wedel des Samenfarns Cycadopteris (Abb.4, unten links). Die marinen Invertebraten (wirbellose Tiere) sind als Fossilien im Nusplinger Plattenkalk sehr vielfältig vertreten. Es wurden Meeresschwämme gefunden, die man bisher noch nicht kannte. Normalerweise sind die nur aus Weichkörpersubstanz bestehenden Meereswürmer nicht erhaltungsfähig und fehlen daher in den meisten Fossillisten. Im Nusplinger Plattenkalk ist dies aufgrund der günstigen Erhaltungsbedingungen nicht so, da bereits einige gut erhaltene Funde gemacht wurden. Ein Wurm ähnelt dem heutigen Wattwurm. Ein anderer Wurm trägt als Gebiß kräftige Kieferzangen. Eine dritte Gruppe von Meereswürmern hat zu Lebzeiten eine Wohnröhre aus kleinsten Partikeln von Fremdmaterial gebaut. Funde von Schwertschwanzkrebsen (Mesolimulus) kommen ebenfalls vor, bleiben aber immer selten. Mit zu den schönsten und auch häufigeren Funden des Nusplinger Plattenkalks zählen die Krebse. Riesengarnelen der Gattung Antrimpos (Abb. 4, oben) sind besonders häufig und kommen in fast allen Schichten vor. Die Panzerkrebse dagegen, wie zum Beispiel Cycleryon (Abb.5, Mitte rechts), sind wesentlich seltener. Eine besondere Rarität stellt der Fund eines Hundertfüßlers dar, der seinen Lebensraum auf einer der nahegelegenen Inseln gehabt haben dürfte. Mit ihm ist diese Tiergruppe zum ersten Mal aus dem Erdmittelalter belegt. Dies stellt insofern eine kleine Sensation dar, da mit diesem Fund die Kenntnis über diese Tiere mit einem Schlag fast hundert Millionen Jahre weiter zurück reicht. Die schon oben erwähnten Libellen sind überhaupt die ersten Insektenfunde aus dem Schwäbischen Jura. Unter den Weichtieren (zum Beispiel Schnecken, Muscheln, Tintenfische) sind die Kopffüßler besonders häufig. Zu ihnen gehören die Ammoniten (Abb. 4, unten rechts), die man auf allen Spaltflächen des Plattenkalks findet, darunter sogar besonders erhaltene Exemplare mit Ober- und Unterkiefer sowie Mageninhalt. Sehr häufig sind auch die Belemniten (Donnerkeile), die oft zerbissen gefunden werden. Auch Gehäuse des Perlboots Nautilus wurden in einigen Exemplaren geborgen, darunter eines mit dem zugehörigen, kompletten Kieferapparat. Regelmäßige, aber nicht häufige Funde sind die Schulpe von Tintenfischen. Bei einigen Exemplaren kann man noch die aus dem Tintenbeutel ausgetretene Tintensubstanz erkennen (Abb. 4, Mitte). Die Gruppe der Stachelhäuter (zum Beispiel Seesterne, Seeigel und Seelilien) ist unter den Fossilfunden aus dem Nusplinger Plattenkalk ebenfalls vertreten. Es kommen freischwimmende Seelilien vor, wie zum Beispiel die sogenannten Haarsterne. Kleine Schlangensterne (Ophiuren) finden sich nicht selten. Einige Funde von Seeigeln sind in zerbissenem Zustand überliefert. Ein noch unbekannter Räuber hat sie offenbar zerknackt, ausgesaugt und am Fundort wieder ausgespien.
Unter den Wirbeltieren dominieren im Nusplinger Plattenkalk die Fische. Die spektakulärsten Fossilfunde sind hier die bis zu 1,5m langen Meerengel (= rochenähnliche Haifische), die man als das Charakterfossil des Nusplinger Plattenkalks bezeichnen kann. Nirgendwo sind sie so schön erhalten wie im Nusplinger Plattenkalk, in dem sie meistens mit kompletten Hautumrissen gefunden werden (Abb. 6). Der Haifisch-Neufund Sphenodus (Abb. 5, oben) aus dem Egesheimer Steinbruch wurde schon weiter vorne erwähnt. Des weiteren sind Funde von Meerkatzen (Chimären) und von Quastenflossern besonders hervorzuheben. Die Gruppe der altertümlichen Knochenganoidfische ist ebenfalls mit vielen schönen Funden vertreten. Auch die modernen Knochenfische sind durch vollständige Einzelfunde belegt. Von Reptilien wurden bisher bei den aktuellen Grabungen in beiden Steinbrüchen nur einzelne Knochen und Zähne gefunden. Die bis jetzt bekannten vollständigen Funde gehen alle auf die Fundbergungen des vergangenen Jahrhunderts zurück. Es sind dies die Flugsaurier und die Meereskrokodile. Am auffälligsten ist hierbei das Meereskrokodil Geosaurus suevicus, das eine sonst für Krokodile ungewöhnliche dorsale Schwanzflosse aufweist und dessen Gliedmaßen zu Paddeln umgestaltet sind. Solche Krokodile mit einer Anpassung an das Leben im Meer gibt es heute nicht mehr.
Wenig Beachtung fanden bisher die im Nusplinger Plattenkalk vorkommenden sogenannten Spurenfossilien. Es handelt sich hierbei in der Regel um Grab-, Freß- oder Wohnbauten von unbekannten Organismen, die im Gestein spezielle Strukturen hinterlassen haben. Sie treten zwar im Nusplinger Plattenkalk nur sporadisch auf, dann aber doch in erstaunlicher Formenvielfalt. Viele dieser Spurenfossilien sind neu und werden jetzt erstmals beschrieben. Eine solche Spur wurde kürzlich nach dem Fundort Egesheim als Parahaentzschelinia egesheimense (Abb. 5, unten) benannt.
Es fällt auf, daß die am Meeresboden lebenden Organismen im Nusplinger Plattenkalk allgemein nicht sehr häufig sind. Die wenigen Funde sind alle vom nahegelegen Schwammriff eingetragen oder eingedriftet worden, da auf dem Meeresboden innerhalb der Plattenkalk-Wanne zur Ablagerungszeit der Plattenkalke überwiegend lebensfeindliche Bedingungen herrschten. So überwiegen bei den Fossilien des Nusplinger Plattenkalks die schwimmfähigen Tiere, die in der höheren, sauerstoffreichen Wassersäule der Plattenkalk-Wanne gute Lebensbedingungen vorfanden. Die übrigen Fossilfunde stammen von Tieren, die an den Rändern der Plattenkalk-Wanne im Bereich der Schwamm/Algen-Riffe gelebt haben, wo Bodenleben jederzeit möglich war. Folglich geben uns die Fossilfunde aus dem Nusplinger Plattenkalk nicht nur Auskunft darüber, was in der Plattenkalk-Wanne selbst gelebt hat, sondern auch wie das Leben in den damaligen Schwamm/Algen-Riffen ausgesehen hat. Ohne den Nusplinger Plattenkalk mit seinen Fossilien hätten wir diese Informationen über den Lebensraum Jura-Meer nicht. Somit stellt der Nusplinger Plattenkalk eine Fossillagerstätte ersten Ranges dar, mit dem ein Fenster weit in die Vergangenheit der Erdgeschichte geöffnet wird. Er ist damit ein ideales Forschungsfeld für die Wissenschaft, die sich mit den Fossilien beschäftigt. Die noch lange nicht abgeschlossenen Grabungen werden uns sicher auch noch in der Zukunft viele überraschende Funde bescheren und damit die Kenntnis über das vorzeitliche Leben im tropischen Jurameer der heutigen Schwäbischen Alb erweitern helfen.
Der Nusplinger Plattenkalk (naturkundemuseum-bw.de)
Abbildungserläuterungen
Abb. 1: Der Meerengel Pseudorhina acanthoderma (ca. 125cm lang), Altfund aus dem Nusplinger Plattenkalk. Die Meerengel sind die auffälligsten Fossilien des Nusplinger Plattenkalks. Foto: R. Harling.
Abb. 2: Riesenlibelle Urogomphus (Flügelspannweite 16cm) aus dem Nusplinger Steinbruch. Erstfund eines Insekts aus den Schichten des Schwäbischen Juras, Grabung des Stuttgarter Naturkundemuseums 1994, Präparation: M. Kapitzke 1994. Foto: R. Harling.
Abb. 3: Meerengel (rochenartiger Haifisch) Squatina acanthoderma (ca. 125cm lang), Altfund aus dem Nusplinger Plattenkalk. Die Meerengel sind die auffälligsten Fossilien des Nusplinger Plattenkalks. Foto: R. Harling.
Anschrift des Autors: Dr. G. Dietl, Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart, Rosenstein 1, D-70191 Stuttgart.